Seit einiger Zeit verfolge ich sehr aufmerksam die Entwicklung von Gutenberg. Mir ist klar geworden, dass sich WordPress mit Gutenberg tiefgreifend verändern wird. Das ist eine gute Sache. Aber wo sich Vieles ändert, entsteht auch viel Bewegung.

Gutenberg ist ein anspruchsvolles Projekt und solche Projekte dauern ihre Zeit. Momentan sind wir vielleicht auf halbem Weg angekommen. Ich rechne damit, dass es etwa noch ein Jahr dauern wird, bevor wir etwas haben, das auf einer Live-Seite eingesetzt werden kann.

Ich weiß, es steht der Termin April 2018 im Raum. Den Termin hat Matt Mullenweg in seinem Vortrag „State of The Word“ beim WordCamp US 2017 genannt. Zu diesem Zeitpunkt soll WordPress 5.0 erscheinen und zwar mit Gutenberg als fest integriertem Bestandteil.

Ich halte diesen Termin erstens für unrealistisch und zweitens für unsinnig. Denn nicht nur die Entwicklung von Gutenberg braucht Zeit, auch der Übergang vom alten in einen neuen Zustand.

Der ungeliebte Übergang

Vor vielen, vielen Jahren, als ich frisch gebackene Kommunikations-Designerin war, bekam ich den Auftrag, eine Tageszeitung grafisch zu überarbeiten. Die Zeitung erhielt eine moderne Typografie und ein klareres Layout. Das Ergebnis war richtig gut. Die Redakteure hatten weniger Arbeit, die Abstimmungsprozesse waren schlanker geworden und die Leser bekamen besser lesbare Texte und ein übersichtliches Layout.
Aber alle haben es gehasst. Die Redakteure schimpften über die neuen Strukturen und die Leser fanden ihre Lieblingskolumne nicht wieder.

Menschen mögen keine Veränderung. Zumindest nicht solche, deren Konsequenzen sie nicht abschätzen können. Niemand gibt gerne alte Gewohnheiten auf, Neues lernen kostet Energie. Und ob die Veränderung wirklich zu was gut war weiß man immer erst hinterher.
Bei meinem Zeitungs-Projekt habe ich gelernt, dass es nicht damit getan ist, etwas Neues zu bauen. Selbst wenn das Ergebnis exzellent ist, der Übergang vom Alten zum Neuen ist Teil des Prozesses und will genau so gestaltet werden wie das Bauen selbst.

Wie könnte der Übergang aussehen?

1. Gutenberg bleibt Plugin

Könnte Gutenberg nicht einfach ein Plugin bleiben? Wenn Gutenberg nur ein aufgehübschter Editor wäre, wäre das denkbar. Aber das ist nicht der Fall: Warum Gutenberg mehr als nur ein Editor ist.
So gesehen halte ich das nicht für einen gangbaren Weg.

2. Gutenberg ist per Hook deaktivierbar

Viele PageBuilder-Entwickler denken wahrscheinlich in diese Richtung. Denkbar wäre sogar, dass man vor dem Upgrade auf 5.x die User fragt, ob sie erst Mal mit dem alten Editor weitermachen wollen.

Aber diese Lösung ist nur zeitlich begrenzt vorstellbar, denn auf Dauer lässt sich das Konzept der Inhaltsblöcke nicht ausklammern.

3. WordPress 4.9.x und 5.x laufen parallel

Dieser Weg ist der mit den meisten Unwägbarkeiten.

Grundsätzlich wäre niemand gezwungen, sofort auf WordPress 5.0 zu wechseln. Denn WordPress 4.9.x würde wie jede andere ältere Version noch eine Weile Sicherheits-Updates bekommen. Das letzte Security-Update für Version 4.7.x gab es im Mai 2017, das letzte Update für Version 4.8.x im Oktober 2017.

Auf längere Sicht würde es aber darauf hinauslaufen, dass WordPress aufgeteilt wird. Bei Kunden und Nicht-Entwicklern würde das für Irritationen sorgen.
Wir kennen die Situation von TYPO3 her. Viele TYPO3-Nutzer waren höchst unangenehm überrascht, als es plötzlich mit 4.x nicht mehr weiterging. Sie konnten nicht einschätzen, wie viel Aufwand es bedeuten würde, auf die neue Version zu wechseln und was der Wechsel überhaupt bringen würde. TYPO3 hat damals bei kleinen Website-Projekten Vertrauen und Marktanteil verloren.

Dem Projekt TYPO3 hat es nicht geschadet, weil sich TYPO3 weg vom Massenmarkt orientiert hat. Aber WordPress positioniert sich anders. Ich bin mir daher nicht sicher, ob eine Aufteilung eine gute Idee wäre.

Fazit

Ich glaube, Gutenberg geht in die richtige Richtung. Es ist allerhöchste Zeit, dass sich WordPress weiterentwickelt und das kann auf Dauer nicht in kleinen Schritten passieren. Das würde viel zu lange dauern. Wir müssen in absehbarer Zeit zu einem modernen, intuitiv bedienbaren WYSIWYG-Interface kommen.

Wir brauchen die Veränderung. Aber damit das klappt, brauchen wir einen gut geplanten Übergangs-Prozess. Momentan herrscht Rätselraten und Kaffeesatzleserei. Das ist nicht gut.