Ich arbeite seit einiger Zeit mit Wunderlist und bin damit sehr zufrieden. Jetzt war ich natürlich sehr gespannt auf das neueste Wunderding. Es ist so weit, seit ein paar Tagen läuft Wunderkit im offiziellen Betatest. 

Wunderkit kommt in der gewohnten Optik von Wunderlist daher, ist aber irgendwie anders. Aber wie genau? Was kann Wunderkit, das Wunderlist nicht kann?

1. Workspaces anlegen
Workspaces sind im Prinzip Projekte, zu denen man die wunderlist-bekannten Tasks und Notes zuordnen kann. Wunderkit zieht sozusagen eine zusätzliche hierarchische Ebene über den Aufgaben ein.
Aufgabenlisten gibt es nicht mehr, statt dessen kann man Tags für Aufgaben vergeben. Mir gefallen die Listen bei Wunderlist, in denen man die Aufgaben frei per Drag an Drop herumschieben konnten, ziemlich gut. Tags machen das Ordnen irgendwie abstrakter. Man kann einer Aufgabe verschiedene Tags zuordnen, das ist natürlich flexibler als eine Liste. Aber es ist auch weniger intuitiv, weil die visuelle Rückmeldung fehlt.

2. Coworker einladen
Zu einem Workspace kann man Leute einladen. Zum Beispiel die Kollegen, mit denen man gemeinsam an einem Projekt arbeitet.

3. Nachrichten senden
Man kann kurze twitter-ähnliche Status-Updates absetzen, die alle Follower lesen können. Außerdem können alle die Notizen und Aufgaben gemeinsam bearbeiten.

Wunderkit DashboardKann man mit Wunderkit ein Projekt managen?

Noch nicht. Wunderkit kennt beispielsweise keine Milestones. Auch Zusammenfassungen oder Auswertungen zu einem oder mehreren Projekten – äh Workspaces – gibt es nicht.
Wunderkit bewegt sich momentan noch sehr auf der spielerischen Seite: Zu den Status-Updates und zu Aufgaben kann man Kommentare und „Likes“ in Form von kleinen roten Herzchen vergeben.

Aber was nicht ist, kann ja noch werden. Die 6Wunderkinder selbst werden wohl noch Ergänzungen liefern und es wird eine API für Entwickler geben. Ich rechne fest damit, dass beispielsweise eine Zeiterfassung – oder eine Anbindung dorthin – kommen wird.

Das Sozial-Dings

Ach so, Wunderkit kann noch etwas, das Wunderlist nicht kann: Es ist ein vollwertiges soziales Netzwerk.
Man kann allen Workspaces folgen, die der Besitzer als öffentlich markiert hat. In meinem „Dashboard“ sehe ich die Workspaces von Google, Smashingmagazine und Wunderkit. Alle diese Workspaces sind öffentlich.

Was ich davon habe? In meiner Updates-Timeline sehe ich das Geplauder sämtlicher Leute, die etwas in diesen öffentlichen Workspaces schreiben. Ich kann an jedem „You’re simply amazing“ und „Hello to Wunderkit“ teilhaben.

Ehrlich gesagt, diesen Teil von Wunderkit verstehe ich nicht. Ein Projektmanagement-Tool zum twittern, chatten und facebooken? Damit der Chef und das schlechte Gewissen nicht mehr meckern, weil ist ja Arbeit?

Vielleicht reguliert sich das via Schwarmintelligenz von selbst. Aber ich könnte mir auch vorstellen, dass die Facebook-Ambitionen der 6 Wunderkinder zum Bumerang werden. Twittern, chatten und facebooken kann ich woanders, mit Wunderkit möchte ich in Ruhe arbeiten.

Und was macht die Konkurrenz?

Zur Zeit gibt es viele StartUps, die den Projektmanagement-Gedanken neu denken. Basecamp ist zwar nach wie vor der Standard, aber auch dieses Tool hat inzwischen den Ruf, zu pflegeintensiv zu sein. Basecamp zielt außerdem auf Agenturen, für Freelancer ist es mit 49$ im Monat zu teuer.
Gefragt sind also schlanke Lösungen mit neuen Ideen.

  • Yammer und Flowr haben genau wie Wunderkit den Social-Network-Gedanken für sich entdeckt, sind aber in der Entwicklung schon deutlich weiter. Allerdings setzen beide Tools in Nutzerführung, Usability und Design auf die bewährte, nüchterne Office-Optik.
  • Asana ist ein sehr elegantes, mächtiges neues Management-Tool. Asana zielt auf größere Unternehmen, das bedeutet, dass kleinere Gruppen (bis zu 30 Leuten) das Tool kostenlos nutzen können. Auch Asana ist optisch deutlich nüchterner als Wunderkit. Dafür ist es ein ausgereiftes Projektmanagement-Tool.
  • Trello und Kanban-Pad setzen auf das Kanban-Prinzip und arbeiten mit so genannten Boards. Die Methodik ist simpel, aber sehr leistungsfähig. Beide Tools sind gut geeignet für Teams, die beispielsweise ein Software-Produkt entwickeln. Iterations-Schleifen und parallele, von einander abhängige Aktionen können über die Boards gut abgebildet werden.

Alle Tools haben ein kostenloses Preismodell für kleine Teams und Freelancer.

Wunder-Twitter

Auf den zweiten Blick kann Wunderkit nicht viel mehr als Wunderlist. Auch mit Wunderlist kann ich beispielsweise Aufgabenlisten mit Coworkern teilen. Die Funktion der Workspaces übernehmen in Wunderlist eben diese Aufgabenlisten.
Wirklich neu sind also nur die Status-Updates und das Follower-Konzept. Mich reißt das nicht vom Hocker.

Im Gegenteil:  Mir geht es auf die Nerven, wenn mir in einer Umgebung, in der ich meine Kundenprojekte verwalte, wildfremde Leute „folgen“. Auch wenn ich meine Kundenprojekte nicht öffentlich machen muss, es stört. Was auf Twitter lustig ist, ist bei Wunderlist nur lästig.
Vielleicht fehlt mir die Phantasie und es gibt es eine Sorte von Projekten, in denen das Folgen, Verfolgtwerden und Chatten einen Mehrwert bringt. Meine Jobs gehören jedenfalls nicht dazu.

Fazit

Ich bin mir nicht sicher, ob die Strategie der 6 Wunderkinder aufgegangen ist.
Wunderlist ist richtig, richtig gut. Ich arbeite sehr gerne damit. Wunderlist hat eine grandiose Erfolgsgeschichte hingelegt,  diesen Erfolg zu toppen ist schwer.

Statt im Stillen am großen Nachfolger Wunderkit zu arbeiten, hat das Wunderkinder-Marketing die Spannung geschürt und die Erwartungen immer weiter in die Höhe getrieben. Als der Beta-Release sich um einige Monate verzögert hat, haben die 6Wunderkinder das nicht kommuniziert. Was jetzt ans Licht kam, ist nicht viel mehr als Wunderlist mit Social-Media-Elementen. Kaum neue Substanz also.

Ich denke, dass noch einiges kommen wird. Und mit Sicherheit ist sehr viel Grundlagen-Arbeit in die Wunderkit-Beta geflossen. Aber diese Arbeit sieht keiner. Alle suchen nach neuen Features und da ist nicht viel zu sehen. Die Webgemeinde wird die Wunderkinder ab sofort mit mehr Skepsis beobachten.
Die Luft ist raus.

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