Wer seine Zielgruppe kennenlernen möchte, sammelt Daten. Demografische Daten, statistische Daten, vielleicht auch Daten aus sozialen Netzwerken. Denn nur, wenn man weiß, was die Kunden wollen, kann man ein Produkt entwickeln, dass sie am Ende auch kaufen.

Nate Bolt (boltpeters) und Mark Trammell (Twitter) erzählten heute in ihrem Vortrag bei SXSW Interactive 2011 eine etwas andere Geschichte. Sie haben die Erfahrung gemacht, dass man pozenzielle Kunden nicht einfach danach befragen kann, was sie gerne hätten. Man muss vielmehr beobachten, wie sie mit einem Produkt umgehen. Denn Menschen sagen oft ganz andere Dinge als das, was sie am Ende wirklich tun. Wir neigen dazu, unser Verhalten vollkommen falsch einzuschätzen.

Soll ein Marktforschungsprojekt brauchbare Ergebnisse in überschaubarer Zeit liefern, müssen die Rahmenbedingungen stimmen.

Die Leute zu Hause befragen
Wir neigen dazu, in ungewohnter Umgebung (zum Beispiel in einem Testlabor) nicht allzu nah bei der Wahrheit zu bleiben. Oder wie Nate Bolt sagt: Die Leute lügen weniger, wenn sie zu Hause befragt werden. Eine Befragung in gewohnter Umgebung liefert verlässlichere Daten.

Der richtige Zusammenhang
Fragen sollten immer aus dem Zusammenhang heraus gestellt werden, in dem das Produkt angesiedelt ist. Geht es beispielsweise um ein Nahrungsmittel, könnte die Frage mit „Stellen Sie sich vor, Sie haben Hunger…“ eingeleitet werden. Das versetzt die Testperson in die richtige Stimmung.

Bitte nicht langweilen
Man muss die Testperson bei Laune halten. Der Befragungsprozess sollte kurzweilig sein, das heißt, das Ganze sollte nicht zu lange dauern. Demografische Pflichtübungen kann man sich sparen. Laut Mark Trammell ergeben Angaben über Alter, sozialen Hintergrund etc. kaum Brauchbares.
Ein kurzer Fragebogen im Multiple-Choice-System hat sich am besten bewährt.

Machen, fragen, ändern – und zwar zügig
Das ist der eigentliche Kern der Systematik von Bolt und Trammell. Keine langwierigen Abstimmungsprozesse mit aufwändig ausgearbeiteten Dummies, sondern schnelle Prototypen. Das Prinzip, um das es gerade geht, wird ohne viel Zeitaufwand visualisiert. Das kann eine statische Website sein, ein Wireframe oder ganz einfach ein paar Karteikarten. New Twitter wurde nach diesem Prinzip entwickelt.
Den Testpersonen wurden immer wieder Prototypen der Seite vorgeführt, sie absolvierten einen kurzen Testdurchlauf und dann ging die Seite wieder zurück an die Designer und Entwickler. Dieser Prozess dauerte jeweils nur wenige Stunden oder Tage.

Tools richtig einsetzen
Es gibt eine schier unüberschaubare Anzahl von Applikationen im Web, mit denen man User-Tests durchführen kann. Auch bei der Entwicklung von New Twitter kamen sie zum Einsatz. Der Vorteil von diesen Tools: Die Testpersonen konnten den Test von zu Hause aus durchführen und die Designer und Entwickler konnten die Aktionen der User live beobachten. Das perfekte Setting also.

Mobil ist anders
Wenn es um mobile Applikationen geht, also Apps fürs Smartphone, muss man anders herangehen. Das Smartphone ist ein Alltagsgegenstand, die Leute sind damit in Bewegung, sie gehen einkaufen, bewegen sich durch die Stadt, suchen nach Lösungen für konkrete Probleme.
Ein Test an einem fest installierten Computer würde diese Situation ganz falsch wiedergeben. Die Testpersonen müssten raten, was sie tun würden und würden damit in den meisten Fällen daneben liegen.
Also was tun? Nate Bolt empfieht: Eine einfache Webcam. Mit der Kamera werden die Testpersonen dabei gefilmt, wie sie die App im Alltag einsetzen. Es wird ganz schnell erkennbar, an welchen Stellen Hindernisse auftauchen und wie die Nutzer mit der App tatsächlich umgehen.

Fazit

  • Marktforschung kann sehr kreativ sein. Sie muss es sogar sein, wenn es darum geht, tatsächlich etwas über die Bedürfnisse seiner Kunden zu erfahren. Nate Bolt nennt das „Imaginative Research“.
  • Marktforschung kann leichtgewichtig und schnell sein. Wichtige Daten können innerhalb kürzester Zeit erhoben werden, wenn man es richtig angeht.
  • Ganz wichtig dabei: Schnelle Prototypen.
    Machen, testen, machen. In möglichst kurzen Abständen, in einem straffen Zeitrahmen.

Die visuelle Notiz zum Vortrag stammt von Len Kendall
http://lenkendall.posterous.com/stop-listening-to-your-customers-stopling-sxs


BUCHTIPP

Nate Bolt & Tony Tulathimutte
Remote Research: Real Users, Real Time, Real Research
Rosenfeld Media
ISBN 1-933820-77-2
29,95€