Designer reden viel darüber, aber eine allgemein gültige Definition gibt es nicht. Keiner weiß so recht, was das genau ist, gutes Design.

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Die Zehn Thesen für gutes Design von Dieter Rams sind legendär.
Nach Dieter Rams ist gutes Design ist nicht nur hübsch anzusehen; es ist durchdacht, funktional und erfüllt einen Zweck. Im besten Falle ist es außerdem innovativ und nachhaltig.

Auffällig ist, dass die Ästhetik nur ein Aspekt von insgesamt zehn Punkten in Rams‘ Liste ist. Das ist nicht gerade viel. Und doch drehen sich Diskussionen über Design fast ausschließlich um die äußere Form. Wie gut gefällt mir das, mag ich die Farben, passt das zu mir?

Hauptsache, es schaut gut aus

Gutes Design hat im allgemeinen Sprachgebrauch die Bedeutung von Dekoration. Die hübsche Verpackung ist gemeint – ganz gleich welcher Inhalt darin steckt. Genau genommen ist es egal, ob sich überhaupt irgendetwas Nennenswertes darin befindet.

Ich erinnere mich noch gut an den Kollegen aus meiner ersten Bürogemeinschaft. Porschefahrer, Solariumabonnent und Frauenschwarm. Sein abschließendes Argument bei jeder Design-Diskussion war: „Hauptsach‘, es schaut gut aus.“ Er hatte nicht wenig Erfolg mit diesem Motto.

Entspricht sie doch dem Common Sense. Design wird gleichgesetzt mit Ästhetik. Das „Schöne“ ist der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich Designer und Auftraggeber einigen können.

Gutes Design ist nicht notwendigerweise „schön“

Aber was ist mit den anderen neun Aspekten, die Dieter Rams aufzählt? Oder andersherum gefragt: Wenn die Ästhetik nur ein Aspekt unter vielen ist, müssten doch eigentlich auch hässlich gestaltete Webseiten Erfolg haben.

Das ist tatsächlich so.
Die Ursache liegt darin, dass der Begriff Design eng mit dem Marketing verknüpft ist, die meisten „Kreativen“ arbeiten schließlich in der Werbung. Die Aufgabe von Werbung ist das Verkaufen und dieses Ziel erreicht man nicht durch das sorgfältige Aufbereiten von Information. Sondern hier geht es um das geschickte Spiel mit Emotionen und psychischen Reflexen.
In ihrem Buch Neuro Web Design beschreibt Susan Weinschenk, wie sehr wir durch unser „old brain“ gesteuert werden. Diesem den alten, urtümlichen Teil unseres Gehirns, der weitgehend unabhängig von allen bewusst gesteuerten Entscheidungen agiert.

Hochglanz ist nicht ehrlich

Das heißt, mit Gestaltung und Design werden wir vorzugsweise dann konfrontiert, wenn man uns etwas verkaufen will. So gut das im Allgemeinen funktioniert, es erzeugt einen leisen Unmut im Manipulationsobjekt.
So kommt es, dass wir auf allzu glatte, gefällige Gestaltung mißtrauisch reagieren: „Hier will mir jemand etwas verkaufen – wer weiß, was dahinter steckt“.

Ausgerechnet schlecht gestaltete Botschaften – selbst gemachte Handzettel, eine in nacktem HTML programmierte Website – kommen in gewissen Zusammenhängen besonders gut an. Weil die Verpackung so offensichtlich unwichtig ist, wirken die Botschaften um so authentischer und vertrauenswürdiger.
In seinem Artikel Why Are Ugly Websites So Successful? beschreibt Gerry McGovern das Phänomen anhand eines Beispiels. Gerry war auf der Suche nach einer neuen Kamera und recherchierte dafür im Netz. Er lernte schnell, dass die hinreißend schönen Videos der Kamerahersteller so gut wie keinen Nährwert enthielten. Die besten Informationen fand er in den selbstproduzierten Wohnzimmer-Videos auf YouTube. Hier ging es ganz klar um die Sache, die Form war vollkommen nebensächlich.

Gutes Web-Design braucht Wissen

Jared Spool bringt eine weitere Auffassung von gutem (Web-)Design ins Spiel. Die Website seines Unternehmens uie.com (User Interface Engineering) würde es kaum in eine Webdesign-Bestenliste schaffen. Jared Spool vertritt einen Ansatz, der sich weitgehend frei macht vom Diktat der Ästhetik.
In seinem Artikel Nobody comes to Work To Make A Bad Design beschreibt er, dass Designern ganz elementares Wissen brauchen, um so etwas wie ein „great design“ zustandezubringen.

Um gutes Design zu machen reicht es nicht, einfach nur smart zu sein.
Sie müssen Ihre User kennen. Sie müssen wissen, was die User brauchen.
Sie müssen wissen, was Ihre Technik kann und was nicht. Sie müssen wissen, was die Leute, für die Sie entwerfen, wirklich begeistert.

Es reicht also nicht, ein Händchen für Farben, Formen und Schriften zu haben. Der hübsche Anstrich allein bewirkt zu wenig.

(…) Sie müssen in der Sprache der Interaktion denken und arbeiten. Sie müssen experimentieren und Prototypen machen. Sie müssen das Feedback auswerten und Ihr Denken entsprechend anpassen.

„Good design, it turns out, is harder than just being a smart guy. You have to know who your users are. You have to know what your users need. You have to know what your technology can and can’t do. You have to know what will truly delight the people you’re designing for. (…) You have to draw on the language of interaction. You have to experiment and prototype. You have to interpret the feedback you receive and adjust your thinking.“ Jared Spool

Gutes Design aus der Sicht des Auftraggebers

Auftraggeber haben ein höchst nüchternes Verhältnis zu Design, sie denken in erster Linie pragmatisch. Sie brauchen jemanden, der ihnen hilft, ihre Botschaft unter die Leute zu bringen. Jemanden, der ihnen die Website, die Broschüre oder den Messestand zusammenbaut.

In erster Linie geht es dabei um Handwerk: Wie organisiert man das Projekt, wie schreibt man HTML, wie baut man Funktionen ein und so weiter.
Die Gestaltung ergibt sich irgendwie und außerdem gibt es genug Vorbilder und Trends, an denen man sich im Zweifelsfall orientieren kann.

Fazit

Die schlechte Nachricht: Die besonders kunstvolle äußere Form spielt offensichtlich keine so große Rolle wie wir Designer es gerne hätten. Schönheit stört zwar nicht, wird aber nur selten explizit nachgefragt. Die Form ist nur ein Aspekt unter vielen anderen, wenn es um „gute Gestaltung“ geht. In den eingangs zitierten Thesen von Dieter Rams steht es 9:1 gegen die Ästhetik.

Die gute Nachricht: Jede der zehn Thesen hat einen konkreten, sehr praktischen Nutzen, für den Auftraggeber einer Designleistung.

  1. Gutes Design ist innovativ.
    Wenn viele dieselbe Botschaft verbreiten, wird der am ehesten gehört, der seine Geschichte auf neue Weise erzählt.
  2. Gutes Design macht ein Produkt brauchbar.
    Eine Website mit guter Nutzerführung bietet den Besuchern das, was sie suchen.
    Das ist mehr, als man von den meisten Websites sagen kann.
  3. Gutes Design ist ästhetisch.
    Eine Website, die man gern betrachtet, wird wahrscheinlich auch gelesen.
  4. Gutes Design macht ein Produkt verständlich.
    Auch ein Laie kann mit einer Website arbeiten, wenn sie intuitiv zu bedienen ist.
  5. Gutes Design ist unaufdringlich.
    Gutes Design ist unsichtbar. Gutes Design gibt den Inhalten die Bühne, die sie brauchen.
  6. Gutes Design ist ehrlich.
    Ein glaubwürdiger Auftritt schafft Vertrauen. Und Vertrauen bringt neue Kunden.
  7. Gutes Design ist langlebig.
    Ein kompletter Relaunch alle zwei bis drei Jahre ist unwirtschaftlich
  8. Gutes Design ist konsequent bis ins letzte Detail.
    Eine Website, die präzise durchdacht ist, kann ohne große Reibungsverluste weiterentwickelt werden.
  9. Gutes Design ist umweltfreundlich.
    (siehe Punkt 7)
  10. Gutes Design ist so wenig Design wie möglich.
    Das Design ist fertig, wenn man nichts mehr weglassen kann.